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Von Fort- und Rückschritten

Von Fort und Rückschritten

 

2019 ist ein Jahr auf das ich mit sehr gemischten Gefühlen zurückblicke. Viele reden wieder darüber, dass früher alles besser war. Das halte ich aber für einen absoluten Trugschluss. Früher war es nicht besser, sondern nur anders. Der Mensch an sich hat sich in all den Jahrhunderten nicht viel verändert, sondern nur die Lebensbedingungen. Und weil sich diese aktuell wieder ändern, habe ich besonders in den letzten Jahren das Gefühl, dass sich unsere Gesellschaft immer mehr splittet. Man könnte sogar behaupten, dass die Kluft in diesem Jahr noch weiter angewachsen ist. Die Jugend bäumt sich gegen die ältere Generation auf, Benzin und Diesel-Fahrer  gegen Elektro-Autos, Fleischesser gegen Veganer, Nichtraucher gegen Raucher/Dampfer …usw. Die Liste lässt sich endlos lange fortsetzen, wenn man noch weiter ins Detail geht. Dies geschieht alles im Schatten des Klimawandels und der Digitalisierung. Beides schreitet unwiderruflich voran. Und beides macht vielen Menschen Angst. Daraus hat sich eine allgemeine Hysterie gebildet, die vielen Menschen meist nur noch an einen einzigen Standpunkt festhalten lässt, nämlich entweder Pro oder Contra zu sein. Die Toleranz-Grenze scheint bei vielen erreicht und man vertritt seine Meinung auf Biegen und Brechen. Es gibt nur noch schwarz oder weiß, keiner wagt sich in einer Grauzone zu bewegen. Ich bin der Meinung, dass sich gerade dadurch eine gewisse Mutlosigkeit in unsere Gesellschaft eingeschlichen hat. Dabei kann die Lösung schlichtweg einfach sein. Wir leben in einer Welt, in der immer schnellere Entscheidungen getroffen werden, alles optimiert werden muss und wir uns immer mehr und neues Wissen aneignen wollen. Fortschritt finde ich persönlich gut, aber eins sollte man dabei dennoch nicht vergessen. Mensch zu bleiben, sich auch mal Zeit zu nehmen dem anderen zuzuhören und auch andere Standpunkte zu verstehen. Natürlich wird ein gegenseitiges Verstehen nicht ohne Kompromisse gehen, aber wenn man sich aneinander richtig zuhört und sich versteht dann lässt es sich leichter ins Handeln kommen.

 

Nun fragt man sich natürlich, was in mich gefahren ist, auf einem Foto-Blog meine Meinung zur Weltlage kund zu tun. Im Großen und Ganzen vielleicht nicht viel, aber zuhören ist eine der Grundlagen, auf denen meine Shootings basieren. Das hat insbesondere in diesem Jahr zu guten Beziehungen mit den Menschen geführt, die ich fotografiert habe. Ebenso hat es mir gezeigt, dass viele auch ein Bedürfnis haben, dass man Ihnen zuhört. Die Themen sind dabei nicht gar nicht mal von politischer oder globaler Bedeutung. Die Gespräche drehen sich schon vielmehr um Fotografie und andere kulturelle Interessen, aber vorwiegend auch um die Person an sich. Mangelndes Selbstbewusstsein ist ein Begriff, der dabei immer wieder auftaucht. Und daran sind die sozialen Medien nicht ganz unschuldig. Es ist doch mittlerweile so, dass sehr viele Menschen bei Instagram eine Art Selbstdarstellung betreiben und in vielen Fällen wird da auch um Ruhm und Anerkennung gebuhlt. Das ist auch grundsätzlich nicht verkehrt. Bei Instagram beispielsweise hat sich mittlerweile eine Parallel-Welt entwickelt, die mit der realen Welt nur noch wenig gemeinsam hat. In der scheinbar heilen Welt von Instagram geht es bei vielen nur noch um die Jagd nach Followern und Likes. Moralische und humane Werte sind da nur noch wenig von Bedeutung. Und damit begehen wir den Fehler, dass wir uns immer kleiner machen. Bei jeder Marvel-Verfilmung oder einem James-Bond-Film wissen wir ganz genau, dass wir nur unterhalten werden und dass dies alles nicht real sein kann, nur bei Instagram haben wir große Probleme mit der Wahrnehmung. Und ich möchte hier auch gar nicht vorenthalten, dass ich mich manches mal selbst dabei ertappe, dass ich mich vergleiche oder mal den anderen neidvollen Blick auf andere Fotografen werfe. Wenn ich an so einem Punkt gekommen bin, ziehe ich mich oft zurück, mache gar nichts oder lösche mein ganzes Portfolio auf Instagram, was ich Mitte des Jahres auch gemacht habe, weil ich einfach wieder gespürt habe, dass ich wieder in einen gewissen Trott geraten bin, der mich selbst gelangweilt hat. Ob das Sinn machte oder nicht kann man dahingestellt lassen, für mich persönlich war es eine Befreiung...ein tiefes Durchatmen. Dennoch gibt es keinen Grund für mich die sozialen Netzwerke schlecht zu reden. Ich rede da gerne von einer Art Hassliebe. Ich liebe es darin zu fungieren, ich hasse es aber, wenn ich merke, dass ich wieder in die Tretmühle geraten bin.

 

Dabei hat sich auch vieles in der realen Welt getan. Anfang des Jahres konnte ich endlich nach langer, langer Vorbereitung und vielen Schwierigkeiten meinen Bildband "Different Faces" präsentieren. Ich habe mich bislang nie darüber geäußert, wie ich wirklich darüber gedacht hatte, aber als ich den Bildband das erste Mal fertig und mit anständigem Druck in den Händen hielt, konnte ich mich nicht richtig drüber freuen. Es war so vieles während der Zeit, an der wir daran arbeiteten, geschehen, das diesen Moment leider überschattete. Aber um mich nicht falsch zu verstehen...die Reaktionen darauf hatten mich im Anschluss nicht nur sehr gefreut, sondern teilweise auch überwältigt. Das war für mich der allerschönste Lohn für meine Bemühungen. An dieser Stelle möchte ich nochmal allen, die an dem Bildband teilgenommen haben und den Käufern recht herzlich dafür danken. Heute mit ein wenig Abstand ist es auch so, dass ich sehr stolz darauf bin, das gemacht zu haben, die Zeit und das Geld investiert zu haben und trotz einem sehr schwierigen Jahr durchgehalten zu haben. Man kann es auch für eine Art Testlauf sehen, denn ein weiterer Bildband war zu der Zeit schon immer in Planung. Dieses Projekt, welches ich mit Antonia im Dezember 2016 plante und dass ich auch immer hin und wieder mal erwähnte, befindet sich auf dem Weg in die Ziellinie. Die letzten Shootings fanden im November in Paris und meinem neuen Studio statt und nun beginnt im Prinzip die richtige Arbeit. Zum Beispiel die Auswahl der Bilder, die zwar schon nach jedem Shooting erfolgte, aber nun nochmals wiederholt werden muss, da sich der Kontext des Projektes im Laufe der Jahre verändert hatte. Aber auch die Zusammenstellung und das Layout wird noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Deswegen kann ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nichts Genaueres sagen. In einem Punkt bin ich mir aber ziemlich sicher. Diese drei Jahre mit Antonia haben mich in der Art, wie ich es mag zu fotografieren weitergebracht. Wir sind beide an und innerhalb dieses Projektes gewachsen und dies möchten wir in diesem Jahr mit der Veröffentlichung des Bildbandes krönen. 

Von Wachstum kann ich in diesem Jahr auch noch auf andere Weise schreiben. Ich habe mein kleines Studio in Wuppertal aufgegeben und bin nun in ein sehr viel Größeres in meiner Heimatstadt Solingen gezogen. Dabei handelt es sich zwar um ein ehemaliges Ladenlokal, aber durch die hohen Decken und den großen Platz hatte es in meinen Augen gleich den Charme eines Ateliers, weswegen ich es auch Atelier Zwei getauft habe. Die Idee hatte ich den in den 40er Jahren entstandenen Charlie Chan-Filmen entnommen, dessen Titelfigur seine Söhne nicht mit Namen sondern Zahlen benannte (Sohn Nummer zwei, Nummer drei usw.) Vor allen Dingen ist es mir nun wieder möglich Coachings und aufgrund der Größe der Räume auch in Zukunft Work-Shops zu geben und die ersten Termine stehen schon fest. Ich hatte ja schon in einem älteren Blog darüber geschrieben, dass ich das sehr gerne mache und ich finde gerade für Anfänger der People-Fotografie ist es besser mit der Schwarz-Weiß-Fotografie zu beginnen, da man sich erstmal auf das Wesentliche, nämlich Kontraste, Formen und insbesondere die richtige Lichtsetzung konzentrieren ohne sich von Farben abzulenken.

Ich hatte mir zu Beginn des letzten Jahres einiges vorgenommen und vieles hatte sich davon schon erfüllt, wie zum Beispiel eine Vernissage, die ja bereits im Juni dieses Jahres stattfand. Seitdem stehen vieler meiner Fotografien in einer kleinen Galerie in den Clemens-Galerien in Solingen und können dort Samstag vormittags betrachtet werden. Nicht immer, aber oftmals bin ich auch zugegen und man kann gern auf eine Tasse Kaffee oder Tee vorbeischauen.
Zudem wollte ich auch weiterhin mehr Blog-Artikel schreiben, aber im August dieses Jahres musste die Fotografie für einige Wochen hintenanstehen. Meine beste Hälfte bekam eine ärztliche Diagnose, die uns beiden für ein paar Wochen den Boden unter den Füßen wegriss. Die traf uns beide sehr hart und es begann eine Zeit, in der ich für sie da sein wollte, denn auf diese Diagnose folgten viele weitere Untersuchungen und einige Operationen. Obwohl es in der Zeit Fortschritte, sowie aber auch hin und wieder Rückschläge gab, waren wir fast immer voller positiver Gedanken, haben uns nicht runterziehen lassen und voller Optimismus in die Zukunft geblickt. Die letzte OP fand dann Anfang Dezember statt und meiner besten Hälfte geht es den Umständen entsprechend nun wieder sehr gut. Allerdings wird es noch einige Zeit in Anspruch nehmen, diese Ereignisse zu verdauen. Blog-Artikel soll es aber dennoch im nächsten Jahr wieder mehr geben. Auch wenn ich kein Problem mit Transparenz habe, möchte ich mich dann dabei doch über mein eigentliches Themengebiet, nämlich die Fotografie im Allgemeinen schreiben, als über meine Aktivitäten. Ob ich das Wort in diesem Jahr halten kann, vermag ich jetzt noch nicht genau zu sagen. Da ich mir für einen Text wie diesen sehr viel Zeit nehme ist es halt so, dass ich die dann auch dafür brauche.

In dieser zweiten ereignisreichen Jahreshälfte habe ich durch dieses Ereignis eines wirklich bewusst gelernt...nämlich dankbar zu sein. Dankbar dafür, dass ich bewusst lebe und gesund bin. Dankbar dafür, dass meine beste Hälfte eine schwierige Zeit und Krankheit gemeistert hat und dankbar für die Möglichkeiten, die wir heutzutage haben. Es ist doch nicht nur mir, sondern jedem möglich sich selbst zu verwirklichen und das mit einem weltweiten Netzwerk zu teilen. Genau wegen dieser und vielen anderen Möglichkeiten geht es uns im Prinzip besser als den Generationen zuvor. Ich finde neuen Dingen sollte man nicht immer nur skeptisch gegenüberstehen, sondern Ihnen auch mal die Chance zu geben sich zu entwickeln und zu verstehen.
 Für das nächste Jahr wünsche ich nicht nur mir selbst sondern auch von allen anderen Menschen, dass sie mutiger werden und wieder mehr wagen und das in jeglicher Hinsicht, ob in der Politik, Kultur oder der Kunst. Denn nur die mutigen Menschen sind diejenigen, die in der Vergangenheit was bewirkt haben, nicht diejenigen die alles kritisieren oder schlecht reden.  Ich wünsche mir wieder mehr Gelassenheit unter den Menschen, damit wieder klug und besonnen entschieden werden kann, denn die Hysterie hat bislang nur Furcht und Unsicherheit verbreitet. Und ich würde mir wünschen, dass die Menschen Ihre Begeisterung wieder entdecken. Denn Begeisterung motiviert uns, macht uns glücklich und ist zudem höchst ansteckend 😉


In diesem Sinne wünsche ich allen einen guten Start in ein neues Jahr und Jahrzehnt. Macht das Beste daraus, was Euch möglich ist…

 

Gehabt Euch wohl
Euer Dirk

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Kommentare: 2
  • #1

    Fridos (Mittwoch, 01 Januar 2020 17:43)

    Wer immer das macht, was er schon kann , bleibt immer das, was er schon ist.

  • #2

    Andrea Bogner (Donnerstag, 02 Januar 2020 15:06)

    Du sprichst mir aus der Seele. Ein sehr schöner Bericht. Ganz liebe Grüße
    Deine Schwester Andrea